Forschungsinstitut für
Nachhaltigkeit | am GFZ

Wie wird Strukturwandel in der Nachhaltigkeitstransformation messbar?

14.01.2025

Die Art und Weise, wie Menschen produzieren und verbrauchen, ist ein großer Hebel, um die globale Erwärmung auf das Ziel des Pariser Klimaabkommens zu begrenzen. Um diesen Hebel zu nutzen, müssen allerdings die Strukturen geändert werden, die die Nicht-Nachhaltigkeit unseres heutigen Lebensstils ermöglichen und fördern. Wie jedoch lassen sich die Effekte solch struktureller Veränderungen messen? Eine internationale Gruppe Forschender um Doris Fuchs, Direktorin am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS), stellt in einer Publikation mögliche quantitative Bewertungsmethoden für die Auswirkungen von Strukturwandel vor.

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Lebensstile durch strukturellen Wandel transformieren: Den Weg ebnen für nachhaltigen Konsum und lebendige öffentliche Räume.

Wenn Konsumenten in einem Land preiswert den öffentlichen Nahverkehr nutzen können und dieser zugleich flächendeckend in ausreichender Dichte vorhanden ist, dann wird strukturell das Umsteigen auf eine Mobilitätsform mit geringerem CO2-Ausstoß erleichtert. Entsprechend dieses Beispiels erkennt die Forschung zu nachhaltigem Konsum und nachhaltigen Lebensstilen mehr und mehr an, dass Strukturen eine Schlüsselrolle für Lebensstile einnehmen. Für den Umstieg auf den ÖPNV, Elektro-Autos oder Ökostrom, den Kauf von unverpackten Lebensmitteln oder einen Einbau von Wärmepumpen sind strukturelle Veränderungen vonnöten. 

Bis dato, so die Autoren der Studie „Assessing the impact of structural change in sustainable consumption and lifestyles research“ erschienen in ‚Consumption and Society‘, sei in der empirischen Forschung zum nachhaltigen Konsum die individuelle, verhaltensbezogene Dimension überbetont worden, während gleichzeitig beklagt wurde, wie begrenzt die beobachteten Veränderungen seien. Die nun vorliegende Analyse betont daher die strukturelle Dimension und setzt sich mit Möglichkeiten ihrer Erfassung auseinander. Sie stützt sich auf die Erkenntnisse von sechs internationalen, interdisziplinären Forschungskonsortien, die von der Europäischen Union in der Forschung zu nachhaltigem Konsum, Bürgerschaft und Lebensstilen gefördert werden und wurden.

In ihrem Fokus auf die Rolle strukturellen Wandels in einer Transformation zu nachhaltigem Konsum und nachhaltigen Lebensstilen haben die sechs Projekte unterschiedliche methodische Ansätze gewählt und unterschiedliche Strukturen analysiert:

  • EU 1.5° Lifestyles etwa betrachtet den Bedarf an strukturellem Wandel im Zusammenhang mit dem Ermöglichen von Lebensstiloptionen, Verhaltensweisen und Routinen von Haushalten, die dem 1,5 °C-Klimaziel entsprechen. 
  • Climate CAMPAIGNers zielt in ähnlicher Weise darauf ab, die strukturellen Veränderungen aufzudecken, die notwendig sind, um langfristig klimafreundliche Veränderungen bei lebensstilbezogenen Entscheidungen zu fördern. 
  • ENCHANT betrachtet, wie Strukturen die Möglichkeiten einer Reduktion des Stromverbrauchs von Haushalten begrenzen.
  • FULFILL untersucht die Rolle von Strukturen beim Streben nach Wandel zu einem Lebensstil mit geringer Treibhausgasbelastung, bei dem gleichzeitig individuelles und kollektives Wohlbefinden erhalten bleiben. 
  • DIALOGUES befasst sich mit der Rolle von Strukturen als Element von Praktiken, die es Bürgern ermöglichen, eine gestaltende Rolle bei der Energiewende zu übernehmen. 
  • EnergyPROSPECTS schließlich erforscht interne und externe Strukturen, die sich auf bürgerschaftliches Engagement für ein gerechteres, demokratischeres und nachhaltigeres Energiesystem auswirken.

Um die politische Aufmerksamkeit auf das Ziel Strukturwandel zu fokussieren- etwa in der Politikberatung, wäre wichtig, den voraussichtlich zu erzielenden Wandel abschätzen zu können, so erläutern die Autorinnen und Autoren ihr Anliegen. Damit Entscheidungstragende ihren Blick überhaupt von individuellen Verhaltensänderungen auf den Strukturwandel als Veränderungsquelle verlagern könnten und würden, müsse die Nachhaltigkeitsforschung die Ergebnisse, die Änderungen der wirtschaftlichen, politischen, technologischen und gesellschaftlichen Strukturen mit sich bringen, hinsichtlich ihrer Größe einordnen können. Darüber hinaus sei die Messbarkeit des Strukturwandels als Voraussetzung für Klima- und Energieszenarien zu sehen, die den Beitrag politischer Maßnahmen zu den Klimazielen bewerten. 

Vor diesem Hintergrund zeigt das Autorenteam unterschiedliche Methoden der Bewertung auf und vergleicht diese hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen, Foki und Blindspots. Gleichzeitig weist es auf bestehende Unterschiede hinsichtlich des Wissensstandes und der methodischen Möglichkeiten zur Einschätzung der Rolle von Strukturwandel in der Nachhaltigkeitstransformation hin: Einige Formen des Strukturwandels, wie etwa die Zahl der Gebäudesanierungen oder Veränderungen im Energiemix, können deutlich einfacher quantifiziert werden als andere, wie beispielsweise der Einfluss neuer gesellschaftlicher Verständnisse von Lebensqualität oder politischer Kampagnen zur Unterstützung neuer Energietechnologien.

Fazit der Autorinnen und Autoren

Es gebe unter den untersuchten Methoden keine, die universell anwendbar oder in allen Forschungssituationen perfekt geeignet sei. Erstens: Alle Methoden hätten Schwierigkeiten beim Bewerten von tiefgreifenden strukturellen Veränderungen, die in die Breite der Gesellschaft wirken, seien sie nun gesellschaftlicher Natur, wie etwa das Verständnis von einem guten Leben, oder politischer oder wirtschaftlicher Natur, wie beispielsweise die Rolle der Märkte. Insbesondere gibt es Schwierigkeiten, disruptive, systemische Veränderungen zu erfassen. Zweitens hätten wahrnehmungsabhängige und wahrnehmungsunabhängige methodische Ansätze jeweils unterschiedliche Stärken aber auch Blindspots, weshalb Forschende unbedingt ihre Methodenwahl vor dem Hintergrund des spezifischen Forschungsinteresses in Bezug auf die Rolle von strukturellem Wandel im Nachhaltigkeitskontext reflektieren müssten.  

Dass ideelle und materielle, gesellschaftliche, politische, ökonomische und technologische Strukturen grundsätzlich wichtige Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit von Konsum und Lebensstilen haben, konnte die Forschung der vergangenen Jahre verdeutlichen. „Schlussendlich ist deshalb jeder Beitrag, mit dem wir anhand von Fakten und Zahlen belegen, wieviel Strukturwandel zum Gelingen der Nachhaltigkeitstransformation beitragen kann und muss, sowohl für den politischen Diskurs als auch die Forschung hilfreich“, sagt Erstautorin Prof. Doris Fuchs vom RIFS. 

Publikation:

Fuchs, D., Debourdeau, A., Dütschke, E., Fahy, F., Garzon, G., Kirchler, B., Klöckner, C. A., & Sahakian, M.: Assessing the impact of structural change in sustainable consumption and lifestyles research. Consumption and society, 10/2024. doi: 10.1332/ 27528499Y2024D000000033

 

Kontakt

Doris Fuchs Leitungsteam RIFS

Prof. Dr. Doris Fuchs

Wissenschaftliche Direktorin
doris [dot] fuchs [at] rifs-potsdam [dot] de
Sabine Letz

M. A. Sabine Letz

Referentin Presse
sabine [dot] letz [at] rifs-potsdam [dot] de
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