Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

AMA Convergence – gesellschaftlicher Wandel als spirituelle Praxis

30.10.2024

Valerie Voggenreiter

Valerie Voggenreiter

valerie [dot] voggenreiter [at] rifs-potsdam [dot] de
AMA Convergence 2024
Die AMA Convergence 2024 in Potsdam stand unter dem Motto „Gesellschaftlicher Wandel als spirituelle Praxis“.

Von Moana Pfleiderer und Valerie Voggenreiter

Seit über einem Jahrzehnt öffnet das Projekt Geisteshaltung für das Anthropozän (AMA) Raum für kollaborative Forschung, persönliche Entwicklung und Gemeinschaftsbildung, um das transformative Potenzial von innerer Arbeit mit der Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderungen zu verbinden. Diese Mission wurde bei der AMA Convergence 2024 in Potsdam unter dem Titel „Gesellschaftlicher Wandel als spirituelle Praxis“ weiter vertieft. Im Folgenden möchten wir die Themenschwerpunkte der einzelnen Tage, einhergehende Erfahrungen sowie Erkenntnisse teilen.

Das viertägige Treffen fand im Spätsommer statt.  Ein Wunsch war es, eine gemeinsame Reise der Entdeckung, Reflexion und des Handelns zu schaffen. Der Fokus lag auf der Entwicklung einer Geisteshaltung, die es ermöglicht, mit den komplexen Herausforderungen unserer Zeit umzugehen. Das AMA Team strebt danach, die Stränge des Wissens, Handelns und Seins zu verknüpfen – und somit Wissenschaft, Praxis und Reflexion zu integrieren. Im Zentrum der Vision der AMA-Gemeinschaft steht der Wille, vertrauensvolle und resonante Beziehungen zwischen Individuen, Gemeinschaften und Disziplinen zu ermöglichen, um so eine Grundlage für vernetzte und integrierte Ansätze zum gesellschaftlichen Wandel zu schaffen.

Auf dem Campus des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit (RIFS) brachte die AMA Convergence 2024 rund 50 Teilnehmende aus verschiedensten Bereichen wie Wissenschaft, Zivilgesellschaft, öffentlicher Sektor, Wirtschaft, Spiritualität und Kunst zusammen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den USA, China, Indien, Brasilien, Bolivien, Uganda und ganz Europa kamen zusammen, um über die Schnittstelle von spiritueller Praxis und gesellschaftlichem Wandel zu reflektieren und darüber, wie das hier erlebte ihr persönliches und berufliches Leben prägen kann.

Das Treffen war mehr als nur eine Reihe von Vorträgen und Diskussionen. Es war ein immersives Erlebnis, bei dem die Teilnehmenden Praktiken teilten und nachgingen, die sie ermutigten, Transformation zu leben. Wie Thomas Bruhn, einer der Initiatoren, hervorhob: „Wir werden gemeinsam ein Spielfeld erschaffen.“ Diese offene Einladung zur gemeinsamen Gestaltung legte den Grundstein für ein Treffen, bei dem sich die Teilnehmenden sowohl intellektuell als auch emotional vollständig einbringen konnten.

Tag 1 war dem Verbinden mit dem Ort und miteinander gewidmet, damit die Teilnehmenden sich voll und ganz auf das Event einlassen konnten. Die Atmosphäre war informell, aber bot Gelegenheiten für persönliches Teilen und kollektive Reflexion. Von einer chinesischen Teezeremonie, geleitet von Man Fang, bis hin zu Tanzen und Spielen – der „Open Playground“ schuf Raum für unstrukturierte und spontane Verbindungen, die ein Gefühl von Vertrauen und Gemeinschaft förderten.

Spannung und Integration: Komplexität navigieren

Der zweite Tag, unter dem Titel „Geschichten von Spannung und Integration“, lud die Teilnehmenden ein, das Gleichgewicht zwischen persönlichen Transformationsprozessen und kollektiven gesellschaftlichen Herausforderungen zu erkunden. Eine Reihe von Workshops bot vielfältige Erfahrungen. Von Improvisationstheater mit Fokus auf konstruktive Zusammenarbeit bis hin zu einer herzöffnenden Kakao-Zeremonie und einem Bohm’schen Dialog geleitet von Carolin Fraude.

Als die Gruppe sich wieder versammelte, waren spürbare Spannungen im Raum. Einige Teilnehmende kehrten voller Energie und Inspiration zurück, während andere Gefühle von Frustration äußerten. Diese Divergenz der Erfahrungen spiegelte die Komplexität des gesellschaftlichen Wandels wider – unterschiedliche Perspektiven können nebeneinander existieren, auch wenn sie Unbehagen hervorrufen. Die gemeinsame Erkenntnis war, dass Transformation keinem geradlinigen Weg folgt. Stattdessen erfordert sie, Raum für Widersprüche und Herausforderungen zu schaffen und ein Feld zu gestalten, in dem Komplexität nicht gelöst, sondern angenommen wird.

Gesellschaftlicher Wandel als spirituelle Praxis erfordert, dass wir der Unvorhersehbarkeit des Lebens adaptiv mit Offenheit und Präsenz begegnen.
AMA Convergence 2024

Beiträge von Ioan Fazey, Violeta Bulc und Mark Lawrence bereicherten den Dialog und diskutierten die Spannung zwischen individueller Sinnfindung und dem globalen Nachhaltigkeitsbestrebungen. Diese Diskussionen unterstrichen die Bedeutung sowohl von individuellem Mut als auch kollektiver Aktion, um turbulente Zeiten zu navigieren. Obwohl viele Fragen unbeantwortet blieben, bestärkten die laufenden Gespräche den Gedanken, dass Transformation ein sich entfaltender Prozess ist, der oft mehr Fragen aufwirft, als klare Lösungen bietet.

Krise und Resilienz

Am dritten Tag trat das Thema Krise unerwartet in den Raum. In der ersten Tageshälfte wurden die Teilnehmenden von einem plötzlichen Alarm überrascht, der von 45 Handys ausging – ein Test des nationalen Warnsystems, der die Unvorhersehbarkeit des Lebens in den Raum holte. Der abrupte Energiewechsel löste intensive Emotionen aus und führte zu neuen Diskussionen und Reflexionen über Macht, Krise und Resilienz.

Anstatt vor diesem Schockmoment zurückzuschrecken, öffneten sich die Teilnehmenden für das Unbehagen. Zwei neue Sitzungen entstanden organisch: Eine beschäftigte sich mit dem Thema Tod und Sterben, während die andere einen ruhigen Raum schuf, in dem die Teilnehmenden die Intensität des Moments halten und verarbeiten konnten. Diese spontane Reaktion spiegelte das Wesen der AMA Convergence wider: Gesellschaftlicher Wandel als spirituelle Praxis erfordert, dass wir der Unvorhersehbarkeit des Lebens adaptiv mit Offenheit und Präsenz begegnen.

Später am Tag machten alle einen Spaziergang zum nahegelegenen Heiligen See, wo die Natur als Teil der persönlichen und kollektiven Reflexion erlebt wurde. Einige entschieden sich, im kühlen Wasser des Sees zu schwimmen, während andere auf dem Gras lagen oder auf Bäume kletterten. Dieser Moment der Verbindung mit der natürlichen Welt bot den Teilnehmenden die Gelegenheit, loszulassen, was ihnen nicht mehr diente, und symbolisierte die persönliche und kollektive Arbeit des Loslassens und der Erneuerung.

Kraft schöpfen durch Gemeinschaft

Das Gefühl von Gemeinschaft vertiefte sich am dritten Tag, als Valerie Voggenreiter eine Journaling-Sitzung zum Thema „Resourcing“ anleitete. Die Teilnehmenden wurden eingeladen, über die inneren und äußeren Ressourcen nachzudenken, die sie während des Treffens gestärkt hatten. In dem großen Kreis, der folgte, drückten viele nicht nur ihre Dankbarkeit für die persönlichen Einsichten aus, die sie gewonnen hatten, sondern auch für das kollektive Erlebnis von Unterstützung und Verbundenheit.

Ein Teilnehmer teilte seine Erkenntnis: „In jedem Menschen steckt, wenn er aufrichtig angesprochen wird, der Keim der Liebe“. Diese Einsicht erfasste ein wichtiges Wesensmerkmal der Convergence – den Glauben, dass tiefe Verbindung, Aufrichtigkeit und Fürsorge wesentliche Ressourcen sind, um Unsicherheiten meistern. Als die Teilnehmenden ihre Reflexionen teilten, wurde deutlich, dass das Treffen ein starkes Gefühl von Zugehörigkeit und gegenseitiger Unterstützung geschaffen hatte und die Überzeugung verstärkte, dass wir die Herausforderungen der multiplen Krisen nicht allein bewältigen können.

Gemeinsame Unterstützung und der Blick nach vorn

Der letzte Tag der Convergence war von einem Gefühl der Unterstützung und Integration geprägt. Nach einem spielerischen und kreativen Check-in versammelten sich die Teilnehmenden in „Wisdom Councils“, um ihre abschließenden Reflexionen zu teilen. Diese Räte boten Raum für diejenigen, die Unterstützung benötigten oder ungelöste Fragen erkunden wollten. Die Atmosphäre war geprägt von Vertrautheit und tiefer Verbindung, als die Teilnehmenden auf die gemeinsam unternommene Reise zurückblickten.

Das letzte Format, ein „Fishbowl“-Gespräch, ermöglichte es den Teilnehmenden, ihre Gedanken über die Erfahrungen der vergangenen vier Tage auszutauschen. Tränen, Lachen und Momente der Verletzlichkeit wurden geteilt, und das Gespräch erkannte die Mehrdeutigkeit und Komplexität der Transformation an. Die Reflexion einer Teilnehmerin, „Ohne die Spannungen wäre das gemeinsam Erlebte vielleicht keine Ressource“, fand bei vielen Anklang und erfasste die Idee, dass es oft durch Herausforderung und Unbehagen ist, dass wir unser größtes Wachstum finden.

Als das Treffen zu Ende ging, tauchte eine Frage auf: „Ist es naiv, an eine Welt ohne Grenzen zu glauben?“ Dies entfachte eine lebhafte und kontroverse Diskussion, wobei eine Teilnehmerin antwortete: „Ist das nicht kraftvoll? Wäre es nicht naiv zu glauben, dass das Business-as-usual eine Zukunft hat?“ Dieser Dialog erfasste den zukunftsorientierten Geist der Convergence – das Eingeständnis der Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, aber auch der tiefe Glaube an die Möglichkeit von Transformation.

Die AMA Convergence 2024 war keine herkömmliche Konferenz mit festgelegter Agenda und vorgegebenen Ergebnissen. Stattdessen war sie ein fließender, sich entwickelnder Prozess, der auch die Unordnung der Transformation verkörperte. Das Treffen erinnerte die Teilnehmenden daran, dass gesellschaftlicher Wandel, wie persönliches Wachstum, nicht geradlinig verläuft. Es ist eine Reise voller Mehrdeutigkeiten, Spannungen und Unsicherheiten. Doch es ist auch eine Reise, die reich an Möglichkeiten, Kreativität und Verbundenheit ist. Welche Praktiken können dazu beitragen, das Beste in uns und unseren Beziehungen zu fördern?

Während wir diese turbulenten Zeiten durchqueren, sind wir aufgerufen, eine Geisteshaltung zu entwickeln, die Raum für Komplexität schafft – eine, die die Verbindung zwischen Wissenschaft, Handeln und Reflexion erkennt. Die Convergence zeigte, dass diese Geisteshaltung bereits in Gemeinschaften auf der ganzen Welt entsteht, wo Menschen zusammenkommen, um Geschichten zu teilen, sich gegenseitig zu unterstützen und neue Wege des Seins in der Welt mitzugestalten.

In den Worten einer Teilnehmerin war die Convergence „eine Reise des Herzens. Es kann sich so sehr ausdehnen; es kann so viel halten.“ Dieses Gefühl erfasst das Wesen des AMA-Projekts – den Glauben, dass wir durch Gemeinschaft, Verbindung und Offenheit Herausforderungen begegnen und nachhaltigere, mitfühlendere und regenerativere Zukünfte mitgestalten können.

Durch Gemeinschaft, Verbindung und Offenheit den großen Herausforderungen unserer Zeit begegnen, um nachhaltigere, mitfühlendere und regenerativere Zukünfte zu gestalten.
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